In diesem Gastbeitrag zeigt Heike Abt, Expertin für interkulturelle Psychologie, wie verschiedene Kulturen mit Krisen umgehen und was wir daraus für unseren Umgang mit psychischen Belastungssituationen lernen können.
Krisen stellen Menschen auf der ganzen Welt vor die gleichen Herausforderungen und verursachen weltweit dieselben Emotionen: Angst, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit. Aber geht man auch weltweit gleich mit derartigen Situationen um? Gibt es kulturelle Unterschiede in der Krisenbewältigung und können wir voneinander lernen? Durchaus würde ich sagen und darum sehen wir uns in dieser Reihe einige kulturelle Unterschiede genauer an und lassen uns von neuen Denk-, Fühl- und Handlungsweisen aus anderen kulturellen Bezügen inspirieren.
Existentielle Krisen bringen uns Menschen auf der ganzen Welt in eine spezifische physiologische Situation: Es werden Stresshormone ausgeschüttet, die zum Angriff, zur Flucht oder zur Erstarrung führen. In diesem Punkt sind "all humans like all other" – also alle Menschen gleich. Dauert dieser Zustand der Belastung länger an, finden sich ebenfalls drei weltweit angewandte Strategien zum Umgang mit der Krise:
Welche der drei Strategien zur Bewältigung einer Krise aber in einer Gruppe und darüber hinaus in der Kultur eines Landes oder Kontinents besonders vorherrscht, ist sehr unterschiedlich. Wie Menschen auf eine Krise reagieren – egal, ob es die eigene ist oder die einer nahestehenden Person – wird immer stark von den in ihrer jeweiligen Kultur erlernten Denk-, Fühl- und Handlungsstrategien bestimmt. So ist es kein Geheimnis, dass in Deutschland gerne die Strategie der Kontrolle gewählt wird, wenn jemand von einer Krise betroffen ist!
Aus der interkulturellen psychologischen Forschung liegen viele Erkenntnisse darüber vor, was das deutsch-sozialisierte Denken, Fühlen und Handeln besonders auszeichnet, welche Glaubenssätze und damit verbundenen Gefühle und Verhaltensweisen bei einer Vielzahl hier aufgewachsener Menschen als richtig, hilfreich und zielführend erachtet werden. Diesen Punkten widme ich mich nun etwas genauer, um anschließend den Blick auf andere Kulturen zu richten – auf andere, inspirierende Sichtweisen zum Umgang mit Krisen.
"Zeit ist Geld!"
"Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!"
"Müßiggang ist aller Laster Anfang."
Wer kennt diese Sprichwörter nicht? Sie zeigen vor allem eines: Für in der deutschen Kultur aufgewachsene Menschen fließt die Zeit von A nach B, von der Geburt zum Tod – linear, geradeaus und ohne Umwege (das gilt im Übrigen auch für viele andere Menschen auf der Welt). Am Ende gibt es entweder das Nichts oder eine wie auch immer vorgestellte Ewigkeit (mit oder ohne Paradies). Mit dem Erdendasein ist aber auf alle Fälle Schluss.
Wenn wir uns das Leben wie einen Fluss vorstellen, dann sitzen wir Menschen auf Booten, Flößen oder Luftmatratzen und strömen allesamt Richtung Meer ("like all other men"). Wie aber ist die Flussfahrt beschaffen? Was müssen wir tun, damit die Reise gelingt? Nach deutscher Auffassung muss die Fahrt gut geplant sein, wir düsen als verantwortliche Kapitänin und Kapitän auf dem ruhig fließenden Strom mit Speedbooten auf und ab, von einem Ufer ans nächste – wir könnten ja was verpassen und gute Gelegenheiten kommen nicht wieder. Unser Fluss ist begradigt, ein breiter Strom der Möglichkeiten und man muss sich selbst darum kümmern, das Beste aus der Fahrt zu machen.
In dieser Vorstellung ist jede Krise ein Problem, je größer sie ist, desto massiver und existenzieller! Denn die Krise nimmt uns die Verantwortung, raubt uns die Gelegenheiten und lässt uns durch den Lebensfluss schlingern. Schlimmstenfalls fallen wir von Bord und kommen am Ende nicht oder zumindest nich heil am Ziel an.
Ein anderes Zeitverständnis – zum Beispiel aus dem ostafrikanischen oder indischen Raum – vermutet, die Zeit wäre nicht linear, sondern zirkulär. Sie liefe also in einer Art Kreis und der Aufenthalt auf Erden ist nicht der erste und vermutlich nicht der letzte. In Kreisen geht dann auch die Lebensreise der Menschen, der Fluss mäandert vor sich hin, Gelegenheiten kommen wieder, man muss nur abwarten. Auf einem Floß lenkt man die Fahrt auf dem engen Fluss, man strömt mit den begrenzten Möglichkeiten, die das aktuelle Ufer bietet und kommt sowieso am Ende im Ozean an. Wenn man Glück (oder Pech) hat, geht es aus dem Ozean noch auf weitere Flussfahren für die Seele.
Ob du eher an eine lineare oder zirkuläre Zeit glaubst, hängt davon ab, wo du sozialisiert wurdest. Es ist also "karmischer Zufall" oder eine Laune des (wie auch immer göttlichen) Schicksals gewesen. Dazu kommt: Welches von beiden Zeitmodellen Recht hat oder nicht, sagt uns die Physik: weder noch. Denn Zeit ist relativ und letztlich nicht mit dem menschlichen Geist zu erfassen.
Das erlaubt uns, zu glauben und zu tun, was uns guttut. Du hast die Wahl! Mache dir das besonders in Krisenzeiten zunutze. Wann immer du Angst hast, dass dir die Zeit davonläuft, du keine Kontrolle über die Zeit hast, Zeit verloren ist, du Gelegenheiten nachtrauerst, andere deine Zeit verschwenden, versuche es mit Gedanken aus einem zirkulären Zeitverständnis. So hebst du dich aus der krisenhaften Situation und es kann dir gelingen, dass sich so auch deine Emotionen etwas beruhigen lassen
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Danke für den Artikel, war inspirierend.
In meiner Wahrnehmung wird gerade eine Mauer durch unsere Welt gebaut. Das die Mauer gebaut wird macht mir schon Angst und Sorge. Mit jedem weiteren Stein, wo die Mauer größer und größer wird, wächst auch meine Angst und Sorge. Ja, ich habe das Wissen und die Kraft den Resignation Modus einzunehmen, und mich so zum Beispiel auf der Unterhaltungsebene zu begeben, was ich auch täglich kurzweilig tue. Würde ich aber in ihr verharren, so kann ich auch die Hoffnung begraben, dass die Mauer wieder abgebaut wird. So sehe ich die Notwendig gegeben den unbequeme und leidvoller Weg zu wählen statt den bequemen und angenehmeren. Durch diesen Artikel kann ich aber vielleicht die Perspektive einnehmen, dass durchlebte Krisen, die Resilienz erhöhen.