Ohne Selbstverantwortung machen wir uns zum Opfer der Umstände oder anderer Menschen. Dennoch tun wir uns oft schwer damit. Warum ist das so? Dieser Beitrag gibt dir wertvolle Anregungen und 3 Tipps für mehr Eigenverantwortung.
In einem Fragebogen, den ich allen meinen Patientinnen und Patienten gebe, steht die Frage: "Was ist der Nachteil beim Erwachsenwerden?"
Viele antworten darauf: "Der Nachteil ist, dass man für sich die Verantwortung übernehmen muss." Die meisten Menschen erleben es als belastend und anstrengend, für sich und ihr Leben die Verantwortung übernehmen zu müssen und für sich zu sorgen. Viele wären gern immer noch das kleine Mädchen oder der kleine Junge, für den andere entscheiden und um die sich andere kümmern. Von ihnen würde dann nichts erwartet werden, selbst dann nicht, wenn etwas schief ginge, und andere würden dann, wie früher die Eltern, ihre Fehler ausbügeln oder dafür geradestehen, sie in den Arm nehmen und sie trösten.
Oft hängt die Sehnsucht danach, von der Verantwortung befreit zu werden und keine Erwartungen erfüllen zu müssen, mit prägenden negativen Erfahrungen aus der Vergangenheit zusammen. Etwa, dass Kinder zu Ausreden oder Notlügen greifen mussten, um in einer heiklen Situation ungeschoren davonzukommen. Sind sie bei der Wahrheit geblieben und haben sie beispielsweise zugegeben, dass sie die Scheibe eingeworfen oder den Teller zerbrochen haben, mussten sie sich einen Vortrag über ihre Unvernunft und Ungeschicktheit anhören und in irgendeiner Weise für den Schaden geradestehen, sie wurden dafür mit Einschränkungen und Verboten bestraft. Von wegen trösten und in den Arm nehmen! Das Problem dabei sind nicht die Bestrafungen an sich, sondern dass sie für ihre Ehrlichkeit bestraft wurden. Dazu kommt, dass sie kein Verständnis für ihre Fehler und Entgleisungen erfahren haben und sich eben niemand um sie gekümmert hat.
Aus psychologischer Sicht können diese negativen Erfahrungen dazu führen, dass sie sich angewöhnen, die objektive Wirklichkeit so zu verändern, dass sie selbst keine Schuld an den Ereignissen trifft. Warum? Weil das der einzige für sie erkennbare Weg ist, sich selbst zu schützen und für sich zu sorgen. Sie erfinden dazu ein sogenanntes Narrativ, eine glaubwürdige Erzählung, in der sie anderen die Schuld und die Verantwortung für ihre missliche Lage, ihre Fehler oder ihr Versagen geben. Dabei werden sie sehr erfinderisch, besonders wenn es darum geht, höhergestellte Personen wie Erwachsene von ihrer Unschuld zu überzeugen. Dazu kommt, dass viele Eltern, ja überhaupt die meisten Erwachsenen, es den Kindern vormachen, wie man sich mit Narrativen durchs Leben mogelt. So erleben Kinder beispielsweise, wie die Eltern beim Besuch bei den Verwandten zum Onkel oder der Tante sehr freundlich und nett waren, zuhause aber über sie herziehen. Oder sie hören, wie die Eltern am Telefon eine Einladung mit der Begründung absagen, sie hätten ausgerechnet an diesem Tag schon etwas anderes vor. Sie würden ja gerne kommen, aber leider sei das nicht möglich. Das nächste Mal, hoffen sie, kommen zu können. Kaum legen sie den Hörer auf, sagen sie: "Bei denen ist es immer so langweilig. Und überhaupt. Mit denen kann man sich ja nicht vernünftig unterhalten."
Von der Kindheit bis ins Erwachsenenleben lernen viele Menschen also, nach außen eine Fassade aufzubauen und aus ihrem Herzen eine sprichwörtliche Mördergrube zu machen, keine Verantwortung zu übernehmen, anderen die Schuld für eigene Fehler und Schwächen zu geben – kurzum: zu lügen, unehrlich zu sein und zu manipulieren.
Wir können unsere Vergangenheit und ihre Auswirkungen auf unser Leben nicht ungeschehen machen. Wir können jedoch unserem zukünftigen Leben eine neue Richtung geben.
Die Voraussetzung dafür ist jedoch, dass wir die Verantwortung für unsere Probleme übernehmen und Sorge für unser Leben tragen und uns nicht als als Opfer sehen von anderen, der Vergangenheit, der Umstände oder des Schicksals. Wenn du das tun willst, dann mach dir bewusst, wir alle haben jederzeit die Macht zu sagen:
So bin ich heute, so werde ich morgen sein.
Warum Selbstverantwortung wichtig ist
Ertappst du dich auch, schnell bei der Hand zu sein, wenn es darum geht, andere für deine Schwierigkeiten und Probleme verantwortlich zu machen? Damit bist du nicht allein. Mal geht dir die Partnerin oder der Partner auf den Wecker, dann sind es die Kinder, der Arbeitskollege oder die Chefin. Sie alle machen einem das Leben schwer. Und natürlich sind als Sündenböcke für das eigene Schicksal die Eltern oder die schlechte Kindheit beliebt, das Erbe bzw. das entgangene oder die allgemeine wirtschaftliche Lage. Selbst der liebe Gott bleibt da nicht verschont.
Das Paradoxe an diesem Verhalten ist: Wenn wir beispielsweise den Eltern vorwerfen, sie seien die eigentlich Schuldigen an den eigenen Probleme und dafür, dass wir im Leben auf der Verliererseite stehen würden. Dann wird es gleichermaßen damit begründet, dass die Eltern in der Erziehung zu streng oder zu nachgiebig gewesen wären. Dass sie nie ein gutes Wort für einen übrig gehabt und sich nicht genügend um uns gekümmert hätten oder uns überbehütet und uns nicht frei entfalten lassen hätten. Dann wird das Unglücklichsein gleichermaßen darauf zurückgeführt, ein Einzelkind gewesen zu sein oder das Jüngste von fünf Kindern, oder überhaupt keine richtigen Eltern gehabt zu haben. Merkst du etwas? Hier geht es nicht um die Eltern, ebenso wenig wie um alle anderen äußeren Umstände. Hier geht es um die subjektive Bewertung davon und von uns selbst.
Wenn wir solche und viele andere Entschuldigungen gebrauchen und keine Eigenverantwortung und Fürsorge für unser Leben und unsere momentane Situation übernehmen, dann fühlen wir uns immer ausgeliefert und nie in unserem Leben zuhause. Wir glauben dann etwa, dass wir unserer Vergangenheit nicht entrinnen können und deshalb dazu verurteilt sind, ein unglückliches Leben zu führen. Das stimmt aber nicht. Wir sind nicht hilflos an unsere Vergangenheit oder einen anderen Umstand gekettet. Zwar können wir keine ihrer Auswirkungen auf unser Leben ungeschehen machen. Wir können jedoch unserem Leben in jedem Moment eine neue Richtung geben und damit unsere Zukunft neu gestalten – ab jetzt!
Wenn du mehr Verantwortung für dein Leben übernehmen willst, überlege dir zunächst, wie dein Leben aussehen soll. Willst du dich beruflich verändern? Gibt es private Dinge, die dich unglücklich machen? Wie soll dein nächstes Jahr aussehen? Oder die nächsten drei Jahre? Am besten du notierst dir deine Wünsche und Ziele in ein Tagebuch, damit du sie nicht vergisst. Mit diesen Zielen vor Augen kannst du alle Entscheidungen, die auf dich zukommen, in deinem Sinne treffen und rechtfertigen.
Gibt es Menschen in deinem Umfeld, die dir regelmäßig ihre Meinung aufzwingen und dich zu Dingen überreden? Versuche diese Menschen aus deiner Entscheidungsfindung auszuschließen. Je nachdem, wie wichtig sie dir sind, stelle sie vor vollendete Tatsachen oder aber bereite dich – sollten Entscheidungen euch gemeinsam betreffen – gut auf eine Diskussion vor. Sammle deine Argumente und lass dich nicht von deinem Weg abbringen.
Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen, kannst du üben. Fang mit kleinen Dingen an. Triff die Entscheidung für ein Restaurant, das du mit deiner Partnerin oder deinem Partner besuchen willst. Wähle den Kinofilm oder das nächste Urlaubsziel aus. Übe dich darin, deine Wünsche zu artikulieren und im Zweifel einen Kompromiss zu finden, der beide Seiten zufriedenstellt. Je öfter du im Kleinen für dich eintrittst, desto leichter fallen auch die wichtigen und großen Entscheidungen im Leben. Übung ist das A und O.
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Die Beispiele für fehlende Selbstverantwortung sind wertvoll. Die Tatsache, dass sich viele Menschen als Opfer wahrnehmen ist sehr aussagekräftig. Es erinnert uns daran, dass eine proaktive Haltung entscheidend ist.
Liebe Grüße
Julia und Steffen
von FIDERTAS Awareness