Wenn sich die Rollen umkehren und Kinder elterliche Aufgaben übernehmen, gerät das Familiensystem ins Wanken und prägt die Betroffenen ein Leben lang. In diesem Beitrag erfährst du, wie du die Beziehung zu dir selbst und zu deinen Eltern ins Gleichgewicht bringst.
Eine Familie ist ein System, das nach bestimmten Regeln funktioniert: Die Eltern haben den Überblick und geben die Richtung vor – sie tragen die Verantwortung für die Kinder und umsorgen sie. Die Kinder wiederum … sind Kinder. Sie sind abhängig von den Erwachsenen, benötigen deren Anleitung und Unterstützung. Sie lernen, beobachten, imitieren, probieren aus – und sind dabei immer darauf angewiesen, dass die Eltern ihnen einen sicheren Rahmen und Orientierung geben. Wenn sich diese Rollenverteilung verändert, gerät das System ins Wanken.
Stellen wir uns die Familie als Stammbaum vor, befinden sich Eltern und Kinder auf verschiedenen Ebenen: Die Eltern sehen wir als Stamm, ihre “Sprösslinge” gehen davon ab. Wenn nun diese Generationsgrenzen verschwimmen oder sich sogar umkehren, spricht man von Parentifizierung. Das Kind rutscht auf eine Ebene mit seinen Eltern, wird zum “Erwachsenen” gemacht. Es erhält dann eine Verantwortung, die es emotional überfordert.
Oft ist das ein Prozess, der schleichend einsetzt und schwer zu erkennen ist. Parentifizierung beginnt meist, wenn das Familiensystem generell in eine Schieflage gerät, etwa nach Trennung oder Scheidung der Eltern, einer schweren Erkrankung oder sogar dem Tod eines Elternteils oder wenn die Familie in eine finanzielle Notlage gerät. Es sind also Zeiten, die auch die Eltern an ihre Grenzen bringen und in denen sie emotional oder psychisch abwesend sind. Um das Familiensystem zu stabilisieren, übernehmen Kinder dann die fehlenden Rollen. Sie versuchen, für ihre Eltern da zu sein – dauerhaft führt das aber dazu, dass das Kind seine eigene Entwicklung vernachlässigt.
Zur Parentifizierung kann es aber auch ganz ohne Notlage kommen – nämlich dann, wenn die Eltern sehr liberal erziehen, dem Kind keine Grenzen setzen und es eher als “Kumpel” oder “Freund/Freundin” sehen. Auch dann kann es passieren, dass die Kinder diese fehlende Elternrolle selbst besetzen.
Kinder, die von ihren Eltern parentifiziert wurden, kämpfen oft mit schweren psychischen Folgen. Sie haben Probleme, ihre eigene Identität zu entwickeln, da sie zwischen der Eltern- und Kindrolle hin- und hergerissen sind. Oft fehlt es ihnen an einem gesunden Selbstbild und an der Möglichkeit, ihre eigenen Ziele und Interessen zu verfolgen. Der Fokus liegt stattdessen auf der Erfüllung ihrer Rolle, die sie überfordert. Außerdem leiden parentifizierte Kinder oft unter Bindungsstörungen: Sie haben Probleme, sich emotional zu öffnen und können deshalb keine Beziehungen auf Augenhöhe eingehen – sie sind es ja gewohnt, die Verantwortung zu tragen und keine Schwäche zu zeigen. Auch wenn viele Kinder nach außen hin gut damit zurechtkommen, führt diese Belastung zu einem hohen Stressniveau.
Parentifizierte Kinder wirken oft reifer und erwachsener, als sie es eigentlich sind. Sie können sich oft nicht so gut mit anderen Kindern identifizieren und fühlen sich in erwachsenen Gesprächen wohler als in kindlichen Aktivitäten.
Die übliche Abnabelung von der Familie, die normalerweise in der Pubertät geschieht, bleibt bei parentifizierten Kindern häufig aus. Auch als Erwachsene haben sie meist noch Probleme, sich abzugrenzen und fühlen sich für vieles verantwortlich, das außerhalb ihrer Kontrolle liegt – sie fühlen sich überverantwortlich. Außerdem haben sie oft einen starken Hang zum Perfektionismus: Schon als Kind wollten sie immer alles richtig machen, hatten dabei aber immer das Gefühl, es niemals allen recht machen zu können.
Dass eine Rollenumkehr stattgefunden hat, wird oft erst im Erwachsenenalter klar. An diesen Merkmalen kannst du erkennen, ob du parentifiziert wurdest:
Kinder haben ein Recht darauf, Kind zu sein.
Wenn du feststellst, dass in eurem Familiensystem etwas schief gelaufen ist, stellt sich bei dir wahrscheinlich ein Unbehagen ein: Du fühlst dich verantwortlich – und genau das ist typisch für eine parentifizierte Person. Helfen kann dir hier vor allem die erste Erkenntnis: Du wurdest parentifiziert – die Betonung liegt hier auf dem Wörtchen “wurdest”. Das heißt, die Rollenumkehr befand sich nie in deinem Verantwortungsbereich, sie ist mit dir geschehen. Zu keinem Zeitpunkt in deiner Kindheit hättest du erkennen können, dass in eurer Familie etwas anders läuft – du warst ja noch ein Kind.
Schon allein, dir das bewusst zu machen, kann dir Erleichterung und gedankliche Freiheit schenken. Trotzdem wird dich diese Erkenntnis herausfordern, denn sie erfordert eine Distanz zwischen dir und deinen Eltern. Wahrscheinlich wirst du trotzdem weiterhin Schuldgefühle haben. Um sie loszuwerden, musst du die Parentifizierung Schritt für Schritt auflösen. Such dir dafür am besten professionelle therapeutische Hilfe. Unterstützend haben wir folgende Tipps für dich.
Diese Tipps können dir dabei helfen, die Parentifizierung aufzulösen und die Beziehung zu dir selbst und zu deinen Eltern wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Parentifizierung bedeutet, dass du als Kind Aufgaben übernehmen musstest, die du emotional noch nicht schultern konntest. Vielleicht hast du oft gehört: “Du bist aber reif für dein Alter.” In Wirklichkeit aber warst du überfordert mit der Situation. Gib dir jetzt die Möglichkeit, die fehlenden Entwicklungsschritte nachzuholen. Entdecke deine eigenen Bedürfnisse und Interessen und baue eine gesunde Beziehung zu dir selbst auf.
Wenn du als Kind parentifiziert wurdest, ist dir wahrscheinlich ein großer Teil deiner unbeschwerten Kindheit verloren gegangen. Nachholen kannst du diese Leichtigkeit und Sorglosigkeit natürlich nicht. Aber du kannst versuchen, den kindlichen Part deines Selbst zu stärken: Schaff dir Auszeiten und tue Dinge, die du als Kind gerne getan hast oder gerne getan hättest. Erlaube dir kleine Albernheiten im Alltag und verscheuche deinen inneren Kritiker im Hinterkopf, die sagt: “Jetzt reiß dich aber mal zusammen.”
Du bist es gewohnt, deine eigenen Bedürfnisse hintanzustellen – sobald jemand etwas von dir braucht, stehst du bereit. Übe ab jetzt, den ersten Impuls des “selbstverständlich” zu unterdrücken und frage dich zunächst: Habe ich wirklich Kapazitäten, einer anderen Person zu helfen? Bin ich körperlich und emotional in der Lage oder muss ich gerade zuerst ein eigenes Bedürfnis erfüllen? Wenn du diese Fragen ehrlich verneinen musst, dann denke daran: Ein “Nein” zu einer anderen Person ist immer ein “Ja” zu dir selbst.
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Hallo liebes Team,
Hier geht es nur um Kinder, leider. Was aber ist, wenn Kinder sich von ihren Eltern lossagen? Wie geht man damit um? Wir sollten unsetem Sohn plötzlich das Elternhaus meines Mannes für seine Familie schenken. Da wir es selber als 2.Wohnsitz nutzen, kam das nicht in Frage. Seitdem kein Kontakt mehr!!! Ich versprach ihm die Wohnung meines verstorbenen Vaters, aber unser Mieter wurde unheilbar krank, wir können und wollen nicht räumen, trotz Rechtstitel und Schulden des Mieters. Kein Verständnis von der Seite meines Sohnes. Es geht ihm anscheinend nur ums Geld, seit er mit einer chinesischen grau liiert ist und inzwischen einen kleinen Sohn hat, den wir erst dreimal gesehen haben. Wir haben ihm sogar inzwischen 100000€ überwiesen, keine Reaktion... Wir sind ratlos. Auch die Psychologin konnte nicht helfen... VG